Giftschrank
Das Diminutiv von Steve lautet Steve Lee
Es ist ja immer tragisch, wenn jemand so abrupt aus dem Leben gerissen wird. Gerade so schlimm finde ich es jedoch auch, was aus dem guten, alten Rock’n’Roll und seinen Protagonisten geworden ist. Wollten die früher jung und schön sterben und lebten Sex and Drugs and Rock’n’Roll, tauscht die junge Garde den wilden Lebenswandel gegen Askese, Bachblütentröpfchen und Konservatorium, um dereinst als reiche Greise Gevatter Tod ins Auge zu blicken.
Selbst unser wilder Solothurner, der dö Röhr, zeigt sich geläutert. Seine Umarmungen gelten längst nicht mehr nymphomanen Groopies oder Jack-Daniels-Flaschen, sondern wahlweise Buchen, Eichen, Föhren oder naturbelassenen Waldfeen, mit denen sich der in die Jahre Gekommene publikumswirksam für die Titelseiten der Yellow Press ablichten lässt. Und erwischt sie der Sensenmann dennoch einmal unprogrammmässig früh, sind sie weder stoned noch anderweitig vollgedröhnt, geschweige denn mit dem Sportflitzer oder der Harley auf der Flucht vor übereifrigen Gesetzeshütern.
Nein, der heutige Homo Rock’n’Roll gibt den Löffel ab, weil er, laktoseintolerant, Reste von Yoghurt am selbigen übersehen hat oder von einem Töff erschlagen wird, während er brav auf dem Pannenstreifen sein Regengwändli montiert. Ich fürchte, ich muss in die Volksmusikecke flüchten, denn dort gibt es sie noch, die Intrigen, die Band Battles, die nicht enden wollenden Drogen- und Sexexzesse…
Erlauchter Kreis
«Endlich kriegen wir auch einen», sagte der Gemeindepräsident gut gelaunt und prostete seinen beiden Amtskollegen zu. «Bei uns geht’s nächstes Jahr um Nummer drei», brüstete sich Nummer zwei, «den ersten Zweispurigen.» «Und das Geld?», fragte der dritte Träger von Amt und Würden. «Kein Problem», schmunzelte der zweite, «dafür hat meine Gemeinde sogar einer Steuererhöhung zugestimmt. Und wir mussten erst den Zubringer verbreitern.» «Mit dem Bau», sagte Drei und nippte am Glas, «ist es nicht gemacht. Der Unterhalt will auch berappt sein.» «Wem sagst du das …», stimmte die Eins wimmernd zu. «Jetzt habt euch nicht so!», gab sich Zwei jovial. «Gepflegte Verkehrskreisel sind das Aushängeschild jeder Gemeinde. Da darf man nicht knausern.» Die anderen nickten untertänig.
Bestimmt hätten sie noch lange weiterdiskutiert über Pflanzen und Gartenbau, Landschaftsarchitektur und getrimmte Rasenrabatten, doch das Fortissimo eines hochgezüchteten Sportwagenmotors erfüllte die Gartenbeiz und verunmöglichte eine Konversation. Ein letztes hochtouriges Aufheulen deutscher Automobilbaukunst lenkte auch die letzten noch beim Bier verbliebenen Blicke zum Parkplatz, wo sie mitverfolgten, wie der Pesche seiner jüngsten Errungenschaft entsprang.
Lässig bestellte er auf seinem Weg zum Tisch mit den drei leichtbekleideten, jungen Blondinen: «Ein Halbeli vom Guten für den erlauchten Kreis», und zeigte dabei auf die drei Präsidenten. Er war eben nicht nur ein Virtuose, wenn es um die Flora von Verkehrskreiseln ging, der Pesche, sondern auch ausserordentlich generös.
Hundertprozentige Mortalitätsrate
Komplett konsterniert haben Wissenschaftler eines toxikologischen Instituts zum wiederholten Mal die deprimierende Feststellung gemacht, dass menschliches Leben dereinst letal enden, beziehungsweise es uns irgendwann das Leben kosten wird.
Furan heisst der neu entdeckte, todbringende Stoff, der es bis vor kurzem noch nie ins Scheinwerferlicht der Medien geschafft hatte. Er kommt, damit sich die Panik auf eine möglichst breite Bevölkerungsschicht ausweiten kann, im weltweit zweitwichtigsten Rohstoff, dem Kaffee, vor und klingt ganz fies nach von Schurkenstaaten zu Waffenzwecken angereichertem radioaktivem Material. Freisetzen soll ihn die Kaffeeextraktion und so gelange er schliesslich in unseren heissgeliebten, dunklen, feurigen Italiener, den Espresso.
Abschliessende Langzeitstudien gibt es natürlich noch nicht, jedoch geht aus Tierversuchen hervor, dass die Leber von Mäusen, denen mit Furan versetztes Wasser verabreicht wurde, auffällige Veränderungen aufzuweisen beginnt, was die Befürchtung nahelegt, bei Furan handle es sich um einen – wir ahnen es – krebserregenden Stoff.
Wenn sich der Verdacht genauso erhärten sollte wie die Mäuselebern, ist der Wissenschaft einmal mehr der Husarenstreich gelungen, einen neuen Weg in Krankheit, Siechtum und Tod aufzuzeigen. Zwischenzeitlich steht jedoch für mich bloss fest, dass man seine Rennmäuse täglich nicht mit mehr als drei, maximal vier Tassen Ristretto verwöhnen sollte.
Bange Bande
Wenn ich an Oensingen denke, fällt mir erst an dritter Stelle sein Wahrzeichen, das Schloss Neu Bechburg, das, wie wir neulich der Zeitung entnehmen konnten, jährlich hunderttausend Franken Unterhaltskosten verschlingt, ein. Auf Platz zwei folgt der Bahnhof, der mir über Jahre den Zugang zum Stadttheater Solothurn, zum samstäglichen Markt und zur Aarestadt an sich erschloss; Top of Mind, wie der Statistiker es zu nennen pflegt, formt sich jedoch vor meinem geistigen Auge ein grosses, ziegelrotes Gebäude, südlich des Dorfes, nahe des Kanals gelegen, der Bildungs- und Erziehungsmeiler, der vor ein paar Jahren ein graues Kleid erhielt, im Kern aber immer noch die Kreisschule Bechburg ist, in der ich während dreier Jahre die Bezirksschule besuchte.
Damals gingen der Anfang des Frühlings und jener eines neuen Schuljahres noch Hand in Hand einher wie zwei verliebte Drittbezler auf dem Schulhof in der grossen Pause, und ich glaube mich genau daran zu erinnern, mit welch gemischten Gefühlen ich mich in Kestenholz aufs Fahrrad schwang, um den etwa vier Kilometer langen Schulweg unter die Räder zu nehmen. Wie in einer kitschigen Geschichte, in der es stets dann zu regnen anfängt, es kalt, trüb und grau wird, wenn es um des Protagonisten Seelenzustand nicht zum Besten bestellt ist, fiel Regen, fiel viel Regen, fiel viel starker Regen, der die fachgerechte Verwendung einer Pelerine unverzichtbar machte, und ein garstig kalter Westwind peitschte mir und meinen Kollegen die Tropfen unbarmherzig mit aller Gewalt gegen die Wangen, in die Augen und an die ungeschützten Hosenbeine. Es schien förmlich, als feuere die gesamte Artillerie der Natur unerbittlich Salven aus allen Rohren auf uns ab, um uns zur bedingungslosen Kapitulation oder zumindest zum Rückzug zu bewegen. Das schaffte sie zwar nicht, wohl aber, uns etwas aufzuhalten, sodass wir unser Ziel total durchnässt, ausser Atem und mindestens fünf Minuten später als geplant erreichten.
Natürlich fanden wir uns in diesem Labyrinth der Stockwerke und Flügel, der Gänge und Trakte, der Treppen und Zimmer nicht auf Anhieb zurecht, und so nutzten wir den ersten Bereich, den wir als Umkleidezone deuteten, um uns aus unserer Regenkleidung zu pellen. Wir waren gerade dabei, sie an irgendeinen freien Haken zu hängen, als eine markerschütternde, dem militärischen Imperativ entsprungene Kasernenhofstimme selbst den kleinsten, entlegensten neunzig-Grad-Winkel – andere schienen aus Gründen der Disziplin, Ordnung und Gradlinigkeit im ganzen Haus nicht zu existieren – scheinbar mit Überschallgeschwindigkeit erreichte. Legenden zufolge begann sogar das Wasser in den Schulzimmern aus Respekt bereits bei neunzig Grad zu kochen. Die kurzen, prägnanten Sätze fühlten sich an wie schallende, mit kräftiger Vor- und geübter Rückhand gezielt geschlagene, kollektive Ohrfeigen. Sie waren gespickt mit Schimpfwörtern, die drei Jahre später, als ich zusammen mit ein paar Kolleginnen und Kollegen eine Schnitzelbank für die Abschlussfeier dichtete, der Zensur exakt jenes Mannes anheimfielen, der sie jetzt, an meinem ersten Schultag, mit der Technik eines Startenors, der es gewohnt ist, einen Saal unverstärkt, allein Kraft seiner Stimme, zu füllen, in reichlichem Masse verwendete.
Wie eingeschüchterte Rekruten folgten wir der Order, unsere Regenkleidung regelkonform an die für die Verwendung durch Frischlinge vorgesehenen Haken umzuhängen, bevor wir uns in jene Schulzimmer begaben, deren Nummern auf dem mehrseitigen Marschbefehl Erwähnung gefunden hatten, der unseren Erziehungsberechtigten fristgerecht zugestellt worden war, und an den wir uns unter Androhung barbarischer Sanktionen zu halten hatten. Mit dem Besitzer der forsch fordernden Stimme und den Eruptionen seines unverblümten Vokabulars hatten wir es in den kommenden drei Jahren beinahe täglich zu tun. Jedes Mal, wenn sie erschallte, beschlich uns ein mulmiges Gefühl, ein Cocktail aus Ehrfurcht, Respekt, grenzenloser Angst und nackter Panik. Nie zuvor und nie danach animierte allein der Klang einer Stimme unsere Nebennieren derart zur Ausschüttung von Adrenalin, wurde uns schmerzlicher bewusst, dass wir ganz offensichtlich in der menschlichen Evolution einige Schritte verpasst hatten und statt zu Jägern und Sammlern zu werden, reine Fluchttiere geblieben waren. Erstaunlicherweise verhalf diese Tatsache unseren Gedankenspeichern zu ungeahnten Höhenflügen. Motiviert durch das über uns schwebende Damoklesschwert, merkten wir uns Formeln und Zusammenhänge, von deren Existenz wir nie zuvor zu träumen gewagt hätten. Auch wenn uns immer wieder einbläut wurde, wir lernten nicht für die Schule, sondern für das Leben, dachten wir bei der Lektüre unserer Bücher und der Konsultation von Nachschlagewerken in erster Linie an drohende, drakonische Massregelungen seitens der Schule, die uns realistischer und wirklichkeitsnaher schienen als alles, mit dem uns das Leben je würde bestrafen können. Aller Angst zum Trotz lernten wir Lehrer und Schule irgendwie zu mögen, und ich denke nicht, dass dies einzig auf eine abgemilderte Form des Stockholm-Syndroms zurückzuführen war. Aus der Retrospektive betrachtet gebe ich sogar vorbehaltlos zu, in den drei Jahren jede Menge gelernt zu haben. Sogar Dinge fürs Leben.
Zeit, heisst es, heile alle Wunden. Das mag wohl stimmen. Sie macht aus Wundschorf glorifizierende Erinnerungen, aus Narben milde Gedanken. Lange Zeit kreisten meine Albträume um andere Themen als jene der Bezirksschule, standen existenziellere Ängste im Fokus meiner Furcht. Doch unlängst wurde ich von meiner Vergangenheit eingeholt, denn heute führt mich mein Arbeitsweg täglich durch Oensingen. Dort verlasse ich die Autobahn und meistens stoppe ich sogar. Im «Knaus», um mein Frühstück, zwei Vollkornbrötchen, zu kaufen. Irgendwann im vergangenen Jahr hatte ich gerade das Ladenlokal betreten, als eine markerschütternde, dem militärischen Imperativ entsprungene Kasernenhofstimme «Es Pfünderli!» bestellte, mit brachial roher Bestimmtheit ein komplett unnötiges «Ruch!» hinterher schickte und dabei selbst den kleinsten Winkel scheinbar mit Überschallgeschwindigkeit erreichte. Augenblicklich durchflutete eine Überdosis Adrenalin meinen Organismus. Mein Ego und ich schrumpften binnen Sekundenbruchteilen auf die Grösse eines unsicheren, von Selbstzweifeln zerfressenen Zwölfjährigen. Die Verkäuferin, keine zwanzig Lenze mehr und sonst nie um eine witzig träfe Antwort verlegen, brachte ihren Körper augenblicklich in Achtungsstellung, vollzog monoton die tausendfach geübte Bewegung des Pfünderlieintütens und streckte ihrem Kunden das Backwerk, gefolgt von einem untertänigen, aber klar verständlichen «Jawohl, Herr Lehrer!», stramm entgegen. Er bezahlte, steckte das Brot ein, machte auf dem Absatz kehrt, erdolchte uns beim herausgehen mit seinem Blick und wünschte uns allen, vor der Schiebetüre angekommen, die sich für ihn zackiger als üblich zu öffnen schien, einen schönen Tag.
Nur langsam verschwand das Brennen aus meinen Muskeln, beruhigte sich die Herzfrequenz und alterte ich wieder. Nach einigen Momenten innerer Einkehr bestellte ich meine Brötchen, ich bezahlte und ging. Seither weiss ich, dass mich mit Oensingen bis heute bange Bande verbinden. Insgeheim hoffe ich dennoch des Morgens zuweilen, meinem Bezirksschullehrer wieder einmal im «Knaus» über den Weg zu laufen, um erneut in Schockstarre zu verfallen und mich wieder wie zwölf zu fühlen, denn was ist in meinem Alter kostbarer, als der süsse Duft der Jugend?
Abschüssig
Illegale Immigranten überschwemmen uns. Wie ein Platzregen den Baumwollstoff, durchdringen sie die grünen Grenzen und fluten unser Eiland. Prominente Vertreter dieser Sans Papiers, wie der Bär im Engadin, der auf den herzallerliebsten Namen M13 hört, und der unlängst im Solothurnischen aufgetauchte schwarze, noch immer namenlose Panther, bilden nur die Spitze des Eisberges. Wo wir gehen und stehen sind wir von gefährlichen Raubtieren umgeben. Auf den Strassen vor den Fussgängerstreifen lauern hinterhältige Dodge Viper unschuldigen Schulkindern auf. Ihre Motoren heulen lauter als ihre Opfer. Gepanzerte Leoparden ballern aus allen Rohren – welch ungeheuer Trommelfeuer. Am Himmel ziehen Tiger in flotten Formationen im Tiefflug ihre Runden – überall mit Überschall.
Bestimmt hecken umtriebige Kommunalpolitiker bereits irgendwo bei konspirativen Treffen Pläne zur Beendigung dieser unhaltbaren Situation aus. Diese wackeren, wahrhaft wehrhaften, bis an die Zähne bewaffneten Pazifisten stehen womöglich schon mit den zuständigen kantonalen Ämtern für Jagd und Fischerei im Gespräch, um dereinst den Abschussbefehl nicht nur für den schwarzen, sondern generell für alle Panther zu erwirken. Auch für graue. Und damit, so dürften sie spekulieren, hätten sie gleichzeitig eine nachhaltige Lösung für die problematische Überalterung der Gesellschaft gefunden.
Manfred ... to whom it may concern
Zugegeben, unlängst blätterte ich die Zeitung etwas angespannter als sonst durch, hatte mir doch mein Verleger zuvor verraten, in der Freitagausgabe stünden ein paar Zeilen zu meinem Büchlein mit Kaffeegeschichten. Von Ehrfurcht ins erste Stadium der Schockstarre versetzt, weil die Worte seiner Aussage nach aus der Feder einer kulturell hochkompetenten Person stammten, wagte ich mich – erlauben Sie mir die kleine Hommage – behutsam an die Lektüre, um am Ende der zweiten Zeile den Höllenschlund zu einem schweren Trauma aufbrechen zu sehen, den zu kitten meinem Analytiker in jahrelanger Therapiearbeit endlich geglückt war.
Von 1982 bis 1986 besuchte ich die gewerblich industrielle Berufsschule in Olten. Die Eltern eines meiner Schulkameraden sahen ihren Filius bei dessen Geburt wohl schon als späteren Friedensnobelpreisträger und nannten ihn deshalb, vielleicht in einer Gandhi-Euphorie, «Mann des Friedens», beziehungsweise Manfred. Einer unserer Lehrer brachte es bereits am ersten Schultag fertig, sich sämtliche Namen seiner neuen Schüler einzuprägen; eine für mich bis dato nicht nachvollziehbare intellektuelle Meisterleistung, vor der ich noch heute respektvoll den Hut zöge, trüge ich einen. Nur eines brachte sein brillanter Geist nicht fertig: das korrekte Zuordnen von Manfreds und meinem Vornamen. Mani störte das wenig, im Gegenteil, er fand es sogar ganz amüsant, wenn der Mann an der Tafel, zu dem wir alle aufblickten, Meinrad schalt, wenn Manfred mit obszönen Geräuschen den Unterricht störte. «Für Mani», pflegte ich dann jeweils leicht divenhaft betupft zu klagen, «ist das ja eine Ehre. Doch für mich ist es eine Schande.» Nach der allerletzten Unterrichtsstunde schüttelte die kurz vor der Pension stehende Lehrkraft noch einmal all ihren Schützlingen die Hand. Als ob es gestern gewesen wäre, erinnere ich mich noch an die Worte, die Herr – naja, sein Name tut hier nichts zur Sache – wohlwollend an mich richtete: «Du wirst deinen Weg schon machen. Alles Gute, Manfred.»
Tunlichst vermied ich es später im Leben, einen Opel Manta zu fahren oder mich mit einer Coiffeuse zu verabreden. Auch befliss ich mich stets nach Kräften eines gepflegten Vokabulars und vermied es, an öffentlichen Veranstaltungen mit obszönen Geräuschen auf mich aufmerksam zu machen. Mit professioneller Hilfe gelang es mir schliesslich, Manfred aus meinem Kopf, wenn auch nicht komplett zu verbannen, so doch zumindest im hintersten Winkel meiner Seele in Einzelhaft einzukerkern, wo er bis heute ein unscheinbares, vergessenes Dasein fristete. Und dann das! Mit einem Trennstrich auf zwei Zeilen verteilt, lese ich vor meinem Nachnamen «Manfred», und augenblicklich erscheint sein dämonenhafter Schatten grösser denn je wieder auf der Projektionsfläche meiner zarten Seele… Im Namen meines Analytikers danke ich Ihnen herzlich für den Verschreiber.
PS: Wie es meinem Schulkollegen Manfred heute geht, weiss ich nicht. Nur eines ist sicher: Er wartet noch immer auf den Friedensnobelpreis.
Des Bänkers Freude
Der heutige Praxistipp stammt von Frau Julia G., Kette rauchende, alkoholkranke Sozialhilfeempfängerin: «Wenn Ihnen die Schulden so sehr über den Kopf wachsen, dass Ihre Nachkommen noch während Generationen das mühevoll verdiente Geld für nichts anderes ausgeben werden, als zu deren Tilgung, lassen Sie den Kopf nicht hängen, sondern sich einfach von der Weltpolitik inspirieren. Rufen Sie Ihren freundlichen Bankberater an und verkünden Sie ihm wohlgemut, sie hätten gerade beschlossen, Ihre private Schuldenobergrenze anzuheben. Sollte er etwas von wegen ‚Kreditwürdigkeit’ murmeln, schnauzen Sie ihn an und eröffnen Sie ihm, er habe nicht die geringste Ahnung von Ihrer Wirtschaftskraft. Immerhin sei der private Konsum das Rückgrat der Gesellschaft, und wer das nicht unterstütze, stelle einzig unter Beweis, kein solches zu besitzen. Wenn Sie diese Übung regelmässig wiederholen, kommen Sie nicht nur zu unglaublichen Geldmassen, Sie werden auch von Mal zu Mal unverfrorener, was Ihre Kredibilität festigt.» Danke, Frau G., wer wenn nicht Sie weiss haargenau, wie man sein Geld in liquide Mittel, die 40% und mehr garantieren, anlegt..?
Bibere et labora
Vergangene Woche setzte sich der Solothurner Regierungsrat intensiv mit sechzehnjährigen Prostituierten auseinander. Diese Zeitungsmeldung, die andernorts zweifelsohne veritable Stürme der Entrüstung ausgelöst hätte, stiess hierzulande auf nicht nur auf Zustimmung, sondern regelrecht auf Wohlwollen und Kopfnicken. Ein paar Zeilen später offenbart sich dem geneigten Leser, weshalb: Die Obrigkeit hob per Dekret das Mindestalter für Prostituierte auf dem Oltner Strassenstrich von sechzehn auf achtzehn Jahre an. Bliebe es unerhöht, wäre dies unerhört, befanden die lokal Mächtigen.
Der Entscheid ist zweifelsohne eine gute Sache, auch und gerade für die Freier. Zwar werden sich diese wohl bald anhand des Schüler- oder Töffliausweises bestätigen lassen müssen, dass es sich bei der zu begattenden Grazie um eine offiziell Immatrikulierte, sprich: für den ÖV Zugelassene handelt, denn wer zu jung verkehrt, verkehrt verkehrt. Gleichzeitig gewinnt jedoch jedes präkoitive Dîner an Stil, wenn sich das charmante Gegenüber, adäquat mit tiefem Dekolletee und kurzem Röckchen bekleidet, in der Beiz nicht mehr länger mit einem Pinguteller und einem Kindersirup abspeisen lassen muss, sondern es sich endlich für das gepflegte Hors d’oeuvre, das Filet de boeuf Stéphanie und dazu einen in die Jahre gekommenen Bordeaux entscheiden darf.
Wie sagte mein Vater doch stets so schön, wenn ich mich nach einer langen Nacht des Morgens schweren Kopfes aus den Daunen zu erheben versuchte? Wär cha suufe, cha ou schaffe. Daran hält sich nun auch der Regierungsrat in seinem Beschluss: Nur wär cha suufe, cha ou aschaffe. Damit schenkt er jeder Dame, die ihren Lebensunterhalt mit ausgesprochen körperlicher Arbeit verdient, das Recht, sich ihre Freier schönzusaufen, und er erspart den Benutzern der öffentlichen Verkehrsmittel die kritischen Vorwürfe ihrer Gattinnen, sie liessen sich mit billigen Flittchen ein. Denn billig wird die günstige Gelegenheit vor diesem Hintergrund fürwahr nicht mehr werden. Was doch zwei Jährchen ausmachen können