«Wir werden wieder zu Pfahlbauern.»
Seit 45 Jahren begleitet Bauingenieur Heinz Katzenstein Um- und Neubauten bei JURA. Mit viel Herzblut und Begeisterung spricht er über seinen nicht ganz alltäglichen Alltag.
«Die schönste Barockstadt der Schweiz», so prangt es als vollmundiges Versprechen in grossen Lettern auf einem Tourismusplakat am Ortseingang von Solothurn. Und tatsächlich: Wer die Stadt über das Baseltor betritt, die monumentale St.-Ursen-Kathedrale zu seiner Linken und den verträumten Garten, in dem einst Casanova eine Zofe verführt haben soll, zu seiner Rechten, dem erschliesst sich das atemberaubende Bild rein barocker Stadtfassaden. Heinz Katzenstein ist Ingenieur aus Leidenschaft. Seit 1977 betreibt er hier, nur einen Steinwurf vom Wahrzeichen der einstigen Ambassadorenstadt entfernt, ein Bauingenieurbüro für Hoch- und Tiefbau. Während seiner gesamten beruflichen Karriere gab es immer wieder Berührungspunkte mit JURA, denn einige der 3’300 Projekte, die er und seine Mitarbeitenden realisierten, nahmen in Niederbuchsiten Gestalt an.
Wir schreiben Anfang der 1970er-Jahre. Heinz Katzenstein arbeitet tagsüber im Ingenieurbüro Bernasconi/Schubiger/Beer, abends und an den Wochenenden besucht der ambitionierte junge Mann das Technikum in Bern. Sein Berufsziel: Ingenieur HTL. Er steht mitten in den Abschlussprüfungen, als ihn sein damaliger Chef mit dem ersten Grossauftrag betraut: «JURA will eine neue Lagerhalle bauen. Mach du das!» Was folgt, sind die kompletten Planungsarbeiten für jenen Bau, welcher am 3. Juni 1972 vom damals 70-jährigen Firmengründer mit stolzgeschwellter Brust, unter Mitwirkung der eigenen Werkmusik eingeweiht und mit einem Tag der offenen Tür der Öffentlichkeit präsentiert wird. Katzensteins Opus 1 geht als Erfolg in die Annalen ein. Vierzig Jahre später wird der gleiche Bauingenieur den Abriss seines Erstlingswerkes überwachen, um auf der Bodenplatte von damals eine neue Halle zu errichten. Doch dazu später.
«Architekten zeichnen Gebäude, Bauingenieure sorgen dafür, dass sie nicht einstürzen.»
Heinz Katzenstein schlendert durch Solothurn. Nicht nur an Neubauten stellt er sein Können unter Beweis. «Im Laufe der Jahre habe ich sicher schon fast in der Hälfte dieser Altstadthäuser etwas umgebaut», erzählt er. Wer durch die gepflegten Pflasterstrassen und verwinkelten Gassen der Kantonshauptstadt zieht, sieht überall die Beweise dafür stehen. Und «stehen» darf durchaus im eigentlichen Wortsinn und als nicht ganz selbstverständlich verstanden werden. Denn nicht immer lassen sich die Ideen der Architekten auch problemlos realisieren. Vor allem gegenüber den «jungen Wilden» erlaubt sich Katzenstein zuweilen gerne den einen oder anderen kollegialen Seitenhieb. «Architekten zeichnen Gebäude, Bauingenieure sorgen dafür, dass sie nicht einstürzen», sagt er verschmitzt mit Schalk in den Augen.
Doch Spass beiseite. «Wir tragen eine grosse Verantwortung. Dessen sind wir uns selbstverständlich bewusst», fügt er ernst an. Als Beispiel nennt er eine Fabrikhalle, bei deren Konstruktion er mehr seinem Instinkt als bloss nackten Zahlen und Maximaltoleranzen gefolgt war. «Die eine Hälfte der Halle verfügte über einen Zwischenboden. Wir entschieden uns, nicht bloss die vorgeschriebenen, sondern eine stärkere Durchstanzarmierung zu verbauen. Nach etwa einem Jahr kam es zu einem Grossbrand. Tausende von Kunststoffkisten loderten dabei lichterloh. Die Hitzeentwicklung war enorm. Als das Inferno gelöscht war und ich die Ruine betrachtete, stockte mir der Atem: Wo noch gerade eben Feuerwehrleute gegen die Flammen gekämpft hatten, hingen jetzt geschmolzene Armierungseisen wie Stalaktite in einer Tropfsteinhöhle von der Decke. Aber die Durchstanzarmierung hatte der Hitze getrotzt. Der Zwischenboden hatte gehalten und die Brandbekämpfer nicht unter sich begraben.» Der Bauingenieur als Schutzengel? «Das nicht, aber vielleicht hat unsere Vorsicht tatsächlich Leben gerettet. Wer weiss …»
«Ich will Nägel mit Köpfen machen. Deshalb bin ich nie in die Politik gegangen.»
Ob die Treppenbefestigung im Glockenturm der St.-Ursen-Kathedrale, tragende Elemente im Kirchenschiff, die Regionalbank schräg gegenüber, die Jugendherberge an der Aare, das stolze Patrizierhaus oder das Geschäftsgebäude, Heinz Katzenstein kennt nicht nur die hehren Fassaden dieser Bauten, er kennt ihr Innerstes wie ein Arzt die Organe und Skelette seiner Patienten. Der «Hausarzt» gehört zum Stadtbild. Man grüsst ihn an jeder Ecke und verwickelt ihn in ein Gespräch. Wer in seiner Stadt so verwurzelt ist, bringt eigentlich die besten Voraussetzungen für eine politische Laufbahn mit. Katzenstein winkt ab: «Ich will Nägel mit Köpfen machen. Deshalb bin ich nie in die Politik gegangen.»
Nach einem Blick auf die Armbanduhr beschleunigt er seinen Schritt. Es steht ein Besuch auf einer Baustelle ausserhalb der Stadt an. Die Fahrt ist kurz. Der Chef nutzt sie für einen Anruf im Büro. Aussteigen, Leuchtweste anziehen und Helm aufsetzen geschehen in einer einzigen, flüssigen Bewegung. Jahrzehntelange Routine. Eine gigantische Maschine dreht Röhren in den Boden. «Pfähle», erklärt der Ingenieur. «Die Röhren werden später mit Beton ausgegossen. Stabile Untergründe sind fast alle bebaut. Deshalb stehen heute viele Neubauten auf Pfählen. Schlechtes Bauland macht uns wieder zu Pfahlbauern», sagt er lachend. Die Techniken haben sich natürlich im Vergleich zu unseren Vorfahren gewaltig geändert. «Brachiales Pfahlrammen weicht immer mehr erschütterungsfreiem Pfahlbohren», erläutert der Fachmann. Eine kurze Baustellenbegehung, ein koordinatives Gespräch mit dem Bauleiter, und weiter geht’s.
Während andere 70-Jährige den Ruhestand geniessen, schont sich Katzenstein noch lange nicht. Sein Wecker klingelt um fünf, um sechs Uhr kommt er ins Büro. Zwölf bis 13 Stunden arbeitet er an einem durchschnittlichen Arbeitstag; die Hälfte der Zeit verbringt er auf Baustellen. Es sei diese Kombination von intellektueller Rechenarbeit am Schreibtisch mit der Praxis auf der Baustelle, die ihn heute wie damals fasziniere. Der Macher liebt es, Dinge entstehen zu sehen. Am liebsten schöne Dinge. Und so erstaunt es nicht weiter, wenn er, zusammen mit seiner Frau, den Ausgleich zum Alltag in der Natur sucht. Auf dem Solothurner Hausberg, dem Weissenstein, zum Beispiel. «Ich bin sogar Pate einer Gondel der neu gebauten Bergbahn», verrät er. «Nummer 45 – wie mein Jahrgang …»
«Hier wirken Zugkräfte von 200 Tonnen.»
Zurück ins Gäu, zurück zu JURA. Heinz Katzenstein wird im Verlauf der Jahrzehnte immer wieder beigezogen, wenn es etwas um- oder anzubauen gilt. «Ende 2010 rief mich mein Ansprechpartner von JURA an und meinte, man wolle in der 40-jährigen Lagerhalle etwas umbauen. Als ich die Pläne von Architekt Manuel Candio sah, war ich begeistert. Von einem Umbau konnte nicht die Rede sein. Die in die Jahre gekommene Halle III sollte abgerissen und an ihrer Stelle ein moderner Neubau errichtet werden: das Global Support Center.» Nach nur rund 10 Monaten Bauzeit ist die Halle im Frühling 2012 bezugsbereit. Sie beherbergt die weltweite Ersatzteillogistik, den Bereich POS und Messen, die Serviceabteilung Bügeln und Haushalt sowie das Professional Competence Center. Durch eine enge Luke steigt Heinz Katzenstein aufs Dach. «Bei diesem frei schwebenden Vordach kommen sämtliche Disziplinen zusammen: Architekturkunst, Ingenieurwesen und Bauhandwerk. Das Dach bildet eine perfekte Gerade, obwohl an der vordersten Ecke Zugkräfte von 200 Tonnen wirken.» Kein Zweifel, die neue Halle III ist ein echtes Wahrzeichen. Für Katzenstein auch der Ausdruck einer Denkhaltung: «Ich nehme JURA als ausserordentlich designorientiert wahr. Der enorme Wert, der hier auf Architektur, Ästhetik und Materialien gelegt wird, ist der beste Beweis dafür.»
Das jüngste Werk, das JURA mit Manuel Candio, dem Zürcher Architekten mit Solothurner Wurzeln, und Heinz Katzensteins Büro realisiert hat, ist der Umbau des Obergeschosses von Halle I, einem Industriebau aus dem Jahre 1954. Hier kümmerten sich Katzenstein und sein Team nicht nur um sämtliche statischen Belange, sondern übernahmen auch gleich die Bauführung und die Budgetkontrolle. «Bis auf die Ästhetik von Hülle und Innenausstattung bieten wir alles an», beschreibt Katzenstein seine Dienstleistungen. Er sitzt auf einem Sofa in der Mitarbeiterverpflegungszone und lässt seinen Blick von der langen Fensterfront durch die Glaswände in den grosszügigen Mittelkorridor wandern. «Ein grandioses Ergebnis!» Die Zusammenarbeit mir Architekt Manuel Candio bezeichnet Katzenstein als hervorragend. «Er hat die Seele dieses wunderschönen 50er-Jahre-Baus treffend erfasst und modern interpretiert. Ich bin sicher, dies ist die schönste Industriehalle zwischen Zürich und Bern.» Für einen kurzen Espresso nimmt sich Heinz Katzenstein noch Zeit. Dann fährt er los. Westwärts. Dem Sonnenuntergang entgegen … und dem Feierabend.
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