«Wir fühlen uns vom Heiligen Vater getragen.»
Seit über 500 Jahren existiert die Päpstliche Schweizergarde … und seit zehn Jahren geniesst sie Kaffeespezialitäten aus Vollautomaten von JURA. Mit ihrer Uniform verfügt sie weltweit über einen immensen Wiedererkennungswert. Ihr Bild ist untrennbar mit jenem des Papstes verwoben. Doch wenn es um ihre Aufgaben geht, kursieren oft abstruse Theorien. Wer in ihr einen folkloristischen Verein sieht, unterschätzt die hoch motivierte, kompetente Truppe gewaltig. Wer glaubt, die Männer seilen sich in halsbrecherischer James-Bond-Manier vom Petersdom ab, sollte womöglich seine Lektüre überdenken. Wie die Päpstliche Schweizergarde den Spagat zwischen Tradition und Moderne schafft und welche Bedeutung ihr im vatikanischen Alltag zukommt, zeigt sich exemplarisch am Tag einer Generalaudienz.
Oberst Christoph Graf sitzt am Besuchertisch in seinem Büro. Seit drei Jahren befehligt der gebürtige Pfaffnauer als Kommandant die Päpstliche Schweizergarde im Vatikan. Der Raum ist von moderatem Grundriss und beeindruckender Höhe. Hinter dem Schreibtisch schmückt die Fahne der Garde eine Wand, links davon strahlt eine schwere Standuhr durch bedächtiges Ticken Kontinuität aus. Die perfekte Kulisse für einen kleinen geschichtlichen Exkurs: «Die Garde wurde im Jahr 1506 von Papst Julius II. gegründet. Als dieser noch Kardinal Giulio della Rovere war, begleitete er Truppen nach Neapel in die Schlacht. Dort fielen ihm besonders die Söldner aus der Schweiz als unerschrockene Kämpfer auf. Zum Papst gekrönt, wünschte sich Della Rovere eine eigene Leibgarde. Er erinnerte sich an die Eidgenossen und erbat von der Tagsatzung ein entsprechendes Kontingent. 150 Männer nahmen im Winter den Weg über den verschneiten Gotthard gen Süden unter die Füsse. Am 22. Januar 1506 marschierten sie durch die Porta del Popolo in Rom ein und bildeten die erste Truppe der Schweizergarde.» Allen gesellschaftlichen, politischen und technologischen Änderungen zum Trotz ist in fünf Jahrhunderten eines gleich geblieben: «Der Auftrag. Die Päpstliche Schweizergarde ist um die Sicherheit des Oberhauptes der römisch-katholischen Kirche, des Nachfolgers Petri, besorgt.»
Inniger Wunsch: einmal dem Papst begegnen
Wir schreiben den 21. März 2018. Frühlingsanfang. Der Himmel über Rom zeigt sich wolkenverhangen. Regen prasselt auf die Pilger nieder, die sich in langen Schlangen vor den Sicherheitskontrollen dem Einlass auf den Petersplatz entgegensehnen. Kurz vor halb zehn Uhr entledigt sich der Himmel des tristen Graus und schlüpft in ein frühlingshaftes, von weissen Schönwetterwölkchen gemustertes Stahlblau. Aus allen Ecken der Erde haben sich zehntausende Menschen hier versammelt. Für viele von ihnen geht ein jahrelang gehegter, inniger Wunsch in Erfüllung: Sie werden dem Papst begegnen. Kranke schöpfen Trost, Verzweifelte Hoffnung, Gläubige Kraft.
Hilfsbereit weisen Gardisten die Massen ein und drapieren sie zu einem bunten Menschenteppich. Konzentriert beobachten die jungen Männer in ihren bunten Uniformen das Geschehen. Ein transparentes Spiralkabel, das sich aus dem Kragen zu einem Knopf im Ohr schlängelt, zeigt, dass sie per Funk miteinander verbunden sind. Ein Gardist verpflichtet sich für mindestens 26 Monate. «Noch finden wir genügend Bewerber. Jedoch spüren wir die geburtenschwachen Jahrgänge, insbesondere in Kombination mit einer boomenden Wirtschaft und den daraus resultierenden Verlockungen einer lukrativen Karriere in der Privatwirtschaft.» Schweizergardist wird man nicht aus materiellen Überlegungen, sondern aus Überzeugung. Das war beim heutigen Kommandanten nicht anders. «Als ich 25 Jahre alt war, arbeitete ich bei der Post. Ich sass in meinem Büro und stellte mir die Frage: Willst du das tatsächlich noch 40 Jahre lang machen? Die Antwort war nein. Ich wollte ausbrechen aus der Monotonie des Alltags, Neues erleben. Da fiel mir ein Flyer von der Schweizergarde in die Hände. Als katholisch aufgewachsener junger Mann, der auch lange Jahre Ministrant war, reifte in mir der Entschluss, dem Papst dienen zu wollen.» 1987 trat er in die Garde ein. «Nach der Grundausbildung lernte ich die einzelnen Aufgaben kennen und arbeitete mich hoch. ›Fare carriera‹ heisst das auf Italienisch und ist nicht negativ behaftet, wie das ›Karrieremachen‹ im deutschen Sprachgebrauch. In all den Jahren hat mir meine Aufgabe stets gefallen. Ich hatte nie eine Sinnkrise.»
Grundkurs mit der KaPo Tessin in Isone
Die Schweizergarde betreibt in Glarus ein Rekrutierungsbüro. «Dort können sich Interessenten melden und ihre Unterlagen einreichen. Unsere Mannschaft besteht aus rund 110 Gardisten. 35 davon zählen zum Kader, zu unserem ›Grundstock‹. Bedingt durch unseren Aufbau ist aber die Fluktuationsrate der Mannschaft mit rund einem Drittel jährlich sehr hoch. Priorität liegt deshalb auf dem Wissenstransfer. Gardisten durchlaufen zu Beginn eine zweimonatige Grundausbildung, in der sie sicherheitstechnische Themen, Selbstverteidigungstechniken sowie das Schiessen erlernen. Der erste Monat der Grundausbildung findet unter der Leitung der Kantonspolizei Tessin in Isone statt. Im Monat darauf startet dann die Ausbildung im Vatikan: Exerzieren, Marschieren, der Umgang mit der Hellebarde, Kennenlernen des Vatikans, Italienisch lernen, etc. Danach findet die Aufnahme in den Dienst statt. Man beginnt mit der Schildwache und als Unterstützung an einem der Eingänge zum Vatikan, zusammen mit einem Postenchef. Dann durchläuft man verschiedene Posten im Päpstlichen Palast. Bei Audienzen kommen Ordnungs-, Ehren- und Sicherheitsdienste als weitere Aufgaben hinzu. Die Vereidigung findet alljährlich am 6. Mai statt, dem Gedenktag für jene Gardisten, die 1527 während der Plünderung Roms das Leben von Papst Clemens VII. retteten und ihn über den Fluchtgang in die Engelsburg schafften. 147 von ihnen zollten ihrem Schwur, für das Leben des Papstes ihr eigenes zu opfern, blutigen Tribut.»
Auf dem Petersplatz spielen Musikgruppen zu Ehren des Papstes auf und vertreiben den Wartenden die Zeit. Dann rollt das Papamobil durch den Torbogen. Aus Freude und Herzklopfen wird Jubel, der sich enthemmt in den päpstlichen Ohren entlädt: «Viva il Papa!» Zur Rechten des Heiligen Vaters ist Oberst Graf. Auf exakt geplanter Route durchquert das Gefährt die Gassen zwischen den Massen. Jeder soll sich dem Papst ganz nah fühlen dürfen. «Unsere Aufgaben bleiben stets dieselben, doch die verschiedensten Gruppen von Menschen aus allerlei Ländern, mit denen wir zu tun haben, sind immer neu», erzählt Christoph Graf. «Deshalb sieht kein Tag gleich aus wie der andere. Wir sind ein 24-Stunden-Betrieb mit militärischen Strukturen. Die Gardisten wohnen in der Kaserne innerhalb der vatikanischen Mauern. Sie verrichten sechs Tage Dienst, gefolgt von drei Tagen Reserve. Wer nicht im Dienst ist, kann sich frei bewegen, Rom kennenlernen, den Ausgang geniessen. Aber wir bleiben immer Gardisten und dadurch im speziellen Fokus der Öffentlichkeit. Fehltritte will sich niemand erlauben.»
Der gute Hirte hat seine Schäfchen fest im Griff
Der Papst ist auf dem Weg zum Stuhl unter dem Baldachin. Der Platz verstummt. Einzig die Sirene eines ausserhalb des Vatikans vorbeibrausenden Polizeiautos frisst feine Mottenlöcher in den Vorhang der Stille. «Liebe Brüder und Schwestern, buongiorno!», klingt es aus des Papstes Kehle, verstärkt durch riesige Lautsprecher. Zunächst macht sich der oberste Hirte meteorologische Gedanken («Heute ist der erste Frühlingstag, und es ist tatsächlich Frühlingswetter!»), was ihn zu einem von uns macht, einem ganz normalen Menschen, bodenständig, volksverbunden, nahbar. Wer vom einstigen Armenpfarrer aus Buenos Aires jetzt eine akademische Predigt erwartet, täuscht sich in Franziskus. Seine Worte sind einfach gewählt, für alle verständlich. Er pflegt einen lebendigen Dialog mit der Masse, und der gute Hirte hat seine Schäfchen vom ersten Augenblick an fest im Griff.
Im Laufe der Zeit haben sich die Anforderungen an die Leibgarde des Papstes gewandelt. «Natürlich müssen wir uns laufend auf neue Technologien und andere Formen der Bedrohung einstellen. In einer Zeit von Drohnen- und Cyberattacken gilt es, auch dafür gewappnet zu sein. Wir messen Aus- und Weiterbildung einen wichtigen Stellenwert zu. Aber auch der engen Zusammenarbeit mit der vatikanischen Gendarmerie, den italienischen Angehörigen der Polizia di Stato und der Carabinieri.»
Eine Alphorngruppe aus der Schweiz bläst aus vollen Rohren, ein russischer Männerchor singt «Kalinka», eine Dorfkapelle, die einem Don-Camillo-Film entsprungen sein könnte, spielt (trotz Ostern) weihnachtliche Melodien. Trotzdem wirkt alles stimmig. Selbst als eine Gruppe von Nonnen ihre Handys in Anschlag bringt und sich auf die Stühle stellt, um nicht nur mit dem Herzen, sondern auch mit moderner Technik ein bleibendes Bild vom unvergesslichen Tag zu erhaschen. Sogar hohe Würdenträger in Purpur erliegen der Versuchung, ihre Smartphones zu zücken.
Dienst in der Garde prägt den Charakter
Gut zweieinhalb Stunden mischt sich der Pontifex unters Volk. Während der gesamten Zeit bleiben sämtliche Gardisten hoch konzentriert. Immer wieder beantworten die adretten Schweizer Pilgerfragen nach dem rechten Weg (nicht im philosophischen Sinn, sondern nach jenem zur Toilette), nach dem Zeitplan, nach der Raucherzone. Und wenn es die Situation erlaubt, posieren sie auch für ein Selfie oder ein Erinnerungsbild fürs Familienalbum. Ihr Dienst wird sie ein Leben lang prägen. «Es ist immer wieder faszinierend, zu sehen, welche menschliche Entwicklung junge Gardisten durchleben. Zu Beginn oft noch etwas schüchtern, mausern sie sich zu selbstsicheren Persönlichkeiten. Vor vielen Leuten souverän aufzutreten, ist eine wertvolle Lebensschule. Hinzu kommt, dass sich im Vatikan Menschen aus aller Welt begegnen. Für diese Pilger ist das Beiwohnen einer Audienz die Erfüllung eines Lebenszieles. Ihnen allen mit Verständnis, Respekt sowie Hilfsbereitschaft zu begegnen, prägt den Charakter.»
Franziskus ist der dritte Papst, den Christoph Graf erlebt. «Jedes Pontifikat ist anders. Johannes Paul II. war zu Beginn ein junger, enorm dynamischer Papst, der keine Strapazen scheute, der ständig auf Reisen war und seine Garde permanent forderte. Benedikt XVI. war ausserordentlich strukturiert, bis ins Detail organisiert. Das erleichterte uns die Arbeit. Franziskus misst dem Protokoll … nicht Priorität zu. Er ist sehr spontan. Es gibt Unvorhergesehenes. Franziskus braucht Freiheiten, und die nimmt er sich auch.»
Oberst Graf hat einen der aussergewöhnlichsten Chefs, die man sich vorstellen kann. «Begegnungen mit dem Heiligen Vater sind für mich auch heute noch jedes Mal etwas ganz Spezielles. Ich empfinde Hochachtung und eine tiefe Ehrfurcht vor seiner Person. Ich fühle mich, zusammen mit der Schweizergarde, vom Heiligen Vater getragen.»
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