The Same Procedure …
Mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks suchen mich jedes Jahr um die Feiertage dieselben ungebetenen Gäste heim, um mir wie blutrünstige Kampfhunde an die Gurgel zu springen. Es sind meine guten Vorsätze in Person der Fitness, der Mässigung und des Altruismus. Wie in einem schlechten, alten Science-Fiction-Film versuchten sie die Kontrolle über mein Denken und Handeln zu erlangen.
Zugegeben, die Fitness ist eigentlich gar nicht so übel – zumindest optisch: knappe dreissig, knappe Trainingshose, knappes Top, knapp längere Raspelfrisur als ein amerikanischer Drill Sergeant aus einer Fernsehserie. Nur leider schlägt sie jeweils auch den entsprechenden Ton an. «Bis zum nächsten Silvester sind zehn Kilo Fett weg und fünf Kilo Muskeln aufgebaut! Verstanden?» Obwohl sie sich alljährlich wiederholt, zucke ich eingeschüchtert zusammen und salutiere unterwürfig.
Die Mässigung ist mir gänzlich unsympathisch; eine totale Spassbremse, spröde, asketisch, dauernüchtern. Ihrem kritischen Detektivblick entgeht nicht das geringste Detail. Wenn sie auftaucht, inspiziert sie sämtliche Lebensmittel im Kühlschrank, betet mir deren Zusammensetzung vor, moniert den exorbitanten Kaloriengehalt und nimmt dabei mächtig Fahrt auf, bevor sie mir das Bier, den Wein und die Schokolade um die Ohren schlägt. «Schockolade», mit «ck», nennt sie das verführerische Süss, weil man jedes Mal nach exzessivem Genuss beim Betreten der Waage einen Schock erleidet.
Während mich Fitness und Mässigung zur Schnecke machen, blickt mich der Altruismus mit seinen traurigen Augen nachsichtig an. Es macht den Anschein, als laste das gesamte Elend der Welt allein auf seinen schmalen Schultern. «Ich kann dir gut nachfühlen – und dich gleichzeitig überhaupt nicht verstehen», sagt er. «Wenn ich sehe, was ihr euch zu Weihnachten alles geschenkt habt und welch Überfluss ihr in euren Schränken hortet, stelle ich mir einfach vor, wie viel Gutes du mit dem vielen Geld hättest tun können. Menschen helfen, die nichts haben.» Dann verdrückt er sich eine Träne und leidet stumm weiter.
Von Selbstzweifeln zerfressen, blamiert bis auf die Unterhose, sinke ich nieder. Sie haben allesamt recht, meine guten Vorsätze, ich kann ihnen nicht widersprechen. Als ich mich mühsam wieder aufrappeln will, spüre ich einen dumpfen Schmerz zwischen meinen Schulterblättern. Die Fitness tritt erbarmungslos mit ihrem Turnschuh zu. «Na los, du Weichei, gib mir zwanzig!», fordert sie gebieterisch. «Das schaffst du nie!», keift mich die Mässigung an. «Du bist viel zu schlapp vom vielen Essen und Trinken!» Und der Altruismus ist sich sicher: «Es ist nicht dein Gewicht, es ist dein schlechtes Gewissen, das dich belastet und zu Boden drückt.»
Gerade, als ich unter Mobilisierung meiner letzten Kräfte den ersten Liegestütz in Angriff nehme, höre ich, wie draussen ein Laster vorfährt. Ihm entsteigt Blasius, mein innerer Schweinehund, und öffnet flugs die Ladeluke. Wie Soldaten bei der Stürmung einer Bastion springen meine alten Freunde, die Lethargie, die Völlerei und der Egoismus, heraus und treiben die guten Vorsätze in die Flucht.
Ich atme auf. «Blasius, du alter Galgenstrick hast es wieder einmal geschafft. Das war Rettung aus höchster Not. Die drei hatten mich schon arg im Schwitzkasten», wimmere ich dankbar. Bedeutungsschwer baut sich mein innerer Schweinehund vor mir auf, klopft mir anerkennend auf die Schulter und lobt mich mit der feierlichen Stimme eines amerikanischen Präsidenten, der gerade in einer öffentlichen Zeremonie seinem verdienten Viersternegeneral einen weiteren Orden an die Brust heftet: «Gut gemacht, ich bin stolz auf dich! Die sind wir los.» «Darauf müssen wir gleich anstossen!», freut sich die Völlerei überschäumend. «Danach ruhst du dich erst einmal richtig aus», rät die Lethargie. Sie gähnt. «Morgen gehst du dir zur Feier des Tages etwas Schönes kaufen», muntert mich der Egoismus auf.
Ich schüttle den Kopf. Er schmerzt. «Spätestens in einem Jahr fallen sie wieder wie die Heuschrecken über mich herein; nörgelnd, mäkelnd, Salz in offene Wunden streuend», klage ich. «Es ist jedes Jahr dasselbe, the same procedure as every year, wie es im unvergesslichen Sketch heisst, ohne dessen inflationärer Ausstrahlung zu Silvester sich das alte Jahr nie verabschieden und wie Pech an uns haften bleiben würde. Gegen gute Vorsätze ist einfach kein Kraut gewachsen.»
«Papperlapapp! Der Teufel soll die guten Vorsätze holen!», posaunt Blasius lauthals. «Er ist der einzige, der sie wirklich gebrauchen kann. Damit pflastert er nämlich den Weg zur Hölle.» Mir stockt der Atem. Es wird mir flau im Magen. Vielleicht sollte ich weniger auf meinen inneren Schweinehund hören und mehr für mich tun. Ein bisschen Bewegung, etwas Mässigung, auch mal an die anderen denken ... ja, das wäre sinnvoll. Gleich morgen fange ich damit an ... oder noch besser: nächste Woche.
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Zugegeben, die Fitness ist eigentlich gar nicht so übel – zumindest optisch: knappe dreissig, knappe Trainingshose, knappes Top, knapp längere Raspelfrisur als ein amerikanischer Drill Sergeant aus einer Fernsehserie. Nur leider schlägt sie jeweils auch den entsprechenden Ton an. «Bis zum nächsten Silvester sind zehn Kilo Fett weg und fünf Kilo Muskeln aufgebaut! Verstanden?» Obwohl sie sich alljährlich wiederholt, zucke ich eingeschüchtert zusammen und salutiere unterwürfig.
Die Mässigung ist mir gänzlich unsympathisch; eine totale Spassbremse, spröde, asketisch, dauernüchtern. Ihrem kritischen Detektivblick entgeht nicht das geringste Detail. Wenn sie auftaucht, inspiziert sie sämtliche Lebensmittel im Kühlschrank, betet mir deren Zusammensetzung vor, moniert den exorbitanten Kaloriengehalt und nimmt dabei mächtig Fahrt auf, bevor sie mir das Bier, den Wein und die Schokolade um die Ohren schlägt. «Schockolade», mit «ck», nennt sie das verführerische Süss, weil man jedes Mal nach exzessivem Genuss beim Betreten der Waage einen Schock erleidet.
Während mich Fitness und Mässigung zur Schnecke machen, blickt mich der Altruismus mit seinen traurigen Augen nachsichtig an. Es macht den Anschein, als laste das gesamte Elend der Welt allein auf seinen schmalen Schultern. «Ich kann dir gut nachfühlen – und dich gleichzeitig überhaupt nicht verstehen», sagt er. «Wenn ich sehe, was ihr euch zu Weihnachten alles geschenkt habt und welch Überfluss ihr in euren Schränken hortet, stelle ich mir einfach vor, wie viel Gutes du mit dem vielen Geld hättest tun können. Menschen helfen, die nichts haben.» Dann verdrückt er sich eine Träne und leidet stumm weiter.
Von Selbstzweifeln zerfressen, blamiert bis auf die Unterhose, sinke ich nieder. Sie haben allesamt recht, meine guten Vorsätze, ich kann ihnen nicht widersprechen. Als ich mich mühsam wieder aufrappeln will, spüre ich einen dumpfen Schmerz zwischen meinen Schulterblättern. Die Fitness tritt erbarmungslos mit ihrem Turnschuh zu. «Na los, du Weichei, gib mir zwanzig!», fordert sie gebieterisch. «Das schaffst du nie!», keift mich die Mässigung an. «Du bist viel zu schlapp vom vielen Essen und Trinken!» Und der Altruismus ist sich sicher: «Es ist nicht dein Gewicht, es ist dein schlechtes Gewissen, das dich belastet und zu Boden drückt.»
Gerade, als ich unter Mobilisierung meiner letzten Kräfte den ersten Liegestütz in Angriff nehme, höre ich, wie draussen ein Laster vorfährt. Ihm entsteigt Blasius, mein innerer Schweinehund, und öffnet flugs die Ladeluke. Wie Soldaten bei der Stürmung einer Bastion springen meine alten Freunde, die Lethargie, die Völlerei und der Egoismus, heraus und treiben die guten Vorsätze in die Flucht.
Ich atme auf. «Blasius, du alter Galgenstrick hast es wieder einmal geschafft. Das war Rettung aus höchster Not. Die drei hatten mich schon arg im Schwitzkasten», wimmere ich dankbar. Bedeutungsschwer baut sich mein innerer Schweinehund vor mir auf, klopft mir anerkennend auf die Schulter und lobt mich mit der feierlichen Stimme eines amerikanischen Präsidenten, der gerade in einer öffentlichen Zeremonie seinem verdienten Viersternegeneral einen weiteren Orden an die Brust heftet: «Gut gemacht, ich bin stolz auf dich! Die sind wir los.» «Darauf müssen wir gleich anstossen!», freut sich die Völlerei überschäumend. «Danach ruhst du dich erst einmal richtig aus», rät die Lethargie. Sie gähnt. «Morgen gehst du dir zur Feier des Tages etwas Schönes kaufen», muntert mich der Egoismus auf.
Ich schüttle den Kopf. Er schmerzt. «Spätestens in einem Jahr fallen sie wieder wie die Heuschrecken über mich herein; nörgelnd, mäkelnd, Salz in offene Wunden streuend», klage ich. «Es ist jedes Jahr dasselbe, the same procedure as every year, wie es im unvergesslichen Sketch heisst, ohne dessen inflationärer Ausstrahlung zu Silvester sich das alte Jahr nie verabschieden und wie Pech an uns haften bleiben würde. Gegen gute Vorsätze ist einfach kein Kraut gewachsen.»
«Papperlapapp! Der Teufel soll die guten Vorsätze holen!», posaunt Blasius lauthals. «Er ist der einzige, der sie wirklich gebrauchen kann. Damit pflastert er nämlich den Weg zur Hölle.» Mir stockt der Atem. Es wird mir flau im Magen. Vielleicht sollte ich weniger auf meinen inneren Schweinehund hören und mehr für mich tun. Ein bisschen Bewegung, etwas Mässigung, auch mal an die anderen denken ... ja, das wäre sinnvoll. Gleich morgen fange ich damit an ... oder noch besser: nächste Woche.
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